Die meisten Menschen essen. Und bei allen hat die Ernährungsweise, die aus der Erziehung heraus geprägt wurde, eine deutliche Bindung zu Emotionen jeder Art.
Über die Ernährung wurden wir schon in der Kindheit emotional geprägt.
Wir wurden belohnt mit Eis, wurden getröstet mit Schokolade oder wurden bestraft durch das Verbot, etwas leckeres essen zu dürfen. Die Eltern handeln immer im Sinne ihrer Erziehungsmethoden. Dabei leben sie als Vorbilder ihrer Kinder und so, wie sie es selbst gelernt haben oder auch genau gegensätzlich. Das betrifft alle Bereiche des Lebens. Aber eben auch und im ganz Besonderen die Ernährungsweise.
In der heutigen Zeit sind die wenigsten vegan lebenden Menschen in einer vegan lebenden Familie aufgewachsen. Häufiger wurde die vegetarische Ernährung umgesetzt. Meistens wurde „normal“ gegessen: also mit (mehr oder weniger) Fleisch, Wurst, Käse, Milch- und Milchprodukten.
Leider treibt es den Menschen immer wieder zu unnötigen Übertreibungen. Deshalb wird noch heute auf Familienfeiern mehr als nötig aufgetischt, um es seinen Gästen besonders gut gehen zu lassen und sich als spendabler Gastgeber darzustellen.
Auch ich selbst bin so aufgewachsen und habe es somit nicht anders gelernt.
HEUTE sehe ich das alles ganz anders. ABER das war und bleibt ein Prozess, der Interessant ist und weiterhin interessant sein wird.
Familienfeiern sind nicht nur wegen der unterschiedlichen Ernährungsweisen immer wieder und bei sehr vielen Menschen eine besondere Herausforderung. Aber gerade, wenn vegan lebende Menschen auf „andere“ Ernährungsformen treffen, scheint die Hürde der achtsamen Verständigung für beide Seiten oft unüberwindbar.
In meiner Familie wird (nach deren Aussage) „normal“ gegessen. Schon allein dass ich jetzt „unnormal“ esse und lebe, hat sich zu Beginn mehr als merkwürdig angefühlt.
Bis jetzt ist meine Antwort darauf gleich geblieben: „Was bitte ist „normal“? Ich bin nicht nicht normal! Und wenn das „unnormal“ sein soll, dass ich nicht für Leid und Tod verantwortlich sein möchte, dann bin ich es gern!“
Weil meine Familie trotzdem stets bemüht ist und war, mich beim Essen nicht komplett auszuschließen und ich versucht habe, es ihnen so leicht wie möglich zu machen, habe ich ihnen erklärt (und schriftlich fixiert), was ich als Veganerin esse und was nicht.
Da standen dann: Nudeln, Kartoffeln, Reis, Gemüse, Obst, Tofu, Soja, Mandelmilch auf dem Zettel mit dem „esse ich“ und daneben in roter Schrift: „esse ich nicht“: Ei, Fisch, Fleisch, Milch, Käse, Hühnchen usw. Diesen Zettel hefteten sich meine Eltern und Schwiegereltern an den Kühlschrank.
Eigentlich hätte ich nicht auf die Idee kommen müssen, dass dann die Nudeln, die sie (extra für mich) kochten Ei enthalten oder dass der Rotkohl mit Schweineschmalz zubereitet wurde.
Aber weil ich die Tücken in meiner Familie kenne, habe ich mich sicherheitshalber bei Ihnen vorab informiert. Und ich behielt leider recht. Leider, weil es für beide Seiten dann zu erneuten Erklärungen und Enttäuschungen in meiner Familie kam.
Aus Kindertagen kannte ich die „Erpressung“ über die Ernährung noch sehr gut. Und auch jetzt sollte der Satz: „Das habe ich doch extra für Dich gekocht.“ mich nötigen, Essen in mich hineinzuzwängen, was ich nicht (mehr) essen mochte.
In der Form der Erpressung hat die Redewendung „Liebe geht durch den Magen“ selten etwas mit ehrlich verstandener Liebe zu tun. Wenn „Liebe durch den Magen geht“ wird sie nie drängen, erpressen oder sonstwie schädigend wirken wollen.
Ähnlich und schon fast als Vorwurf zu verstehen ist die Aussage: „Bis vor kurzem hatte es dir bei uns immer geschmeckt. Da hast du das alles auch ganz normal gegessen.“
Auch Sprüche, die mich motivieren sollten doch zu Essen, was ich nicht will, habe ich immer wieder hören müssen: „Ach, einmal ist keinmal. Davon wirst Du schon nicht sterben.“
Ein Klassiker, bei denen VeganerInnen sogar das Tofu im Halse stecken bleiben kann, ist die Aussage: „Die Sau ist doch eh´ schon Tod“.
Im Gegensatz dazu ist der Hinweis „Das schmeckst du doch gar nicht raus“ fast niedlich und zeigt auf interessante Weise das Unverständnis der nicht veganlebenden Menschen.
In einem kleinen Kreis kann man mit den richtigen Leuten sogar darüber sprechen, dass Serienmorde nicht weniger schlimm sind, als nur einmal zu töten. Denn immer wird ein individuelles Leben ausgelöscht.
Und, dass nur weil wir es schon immer so gehandhabt haben, es nicht richtiger wird und auch nicht besser, nur weil es nicht sichtbar oder herauszuschmecken ist.
Mit den falschen Leuten muss man sich dann aber auch auf Kommentare einstellen wie: „Ich esse jetzt erstmal ein schönes saftiges und blutiges Steak. Oink oink…“.
Auf diese Art der Aussagen bleibt nur eins: Beginne keine Diskussion, sondern stell die ehrlich und freundlich gemeinte Frage: „Willst Du mich provozieren, ist es dein schlechtes Gewissen oder einfach nur Dummheit, die aus dir spricht?“
Interessanterweise sind die Reaktionen darauf in 99% aller Fälle die gleichen: Ich habe zum Nachdenken und zur Selbstreflektion angeregt. Fast niemand hat eine Wiederholung in der Form getätigt. Mit vielen konnte ich danach auf einem guten Niveau sprechen und meine Entscheidung, warum ich mich für die vegane Ernährungsweise entschieden habe, emotionsneutral erklären.
Und selbst wenn keinerlei negativen Reaktionen auf die vegane Ernährung kommen und auch weder Rind noch Huhn für die Brühe ausgekocht wurden, ist es immer wieder eine große Überwindung und für mich (und viele andere VeganerInnen) fast nicht auszuhalten, wenn mit typischen (wieder so ein Vorurteil) Fleischessern an einem Tisch gegessen werden muss.
Die Mengen totes Tier und Leichenteile, die auf den Tellern und in den Mündern von Menschen landen, sind unerträglich. Auch, wie sich über die Haut von Hühnern oder Gänsen hergemacht wird oder Muskelfleisch von Knochen abgenagt wird, die in den Händen von Menschen gehalten werden.
Es macht keinen Sinn, in den Momenten von Leichenteilen zu sprechen. Auch wenn es nichts anderes ist. Es provoziert häufig nur, mit Rechtfertigungen das eigene fleischverzehrende Verhalten zu legitimisieren und emotionale (oft auch trotzige) Verhaltensweisen zu schüren.
Ich habe gelernt, dass es deutlich entspannter für mich ist, das Ernährungsverhalten von anderen als „interessant“ zu deuten. Interessant bewertet nicht in „gut“ oder „schlecht“. Interessant verurteilt nicht. Interessant ist emotionslos.
Wenn wir selbst „interessant“ denken und das damit in Verbindung bringen, dass andere unsere eigenen Denk- und Handlungsweisen auch (noch) nicht verstehen müssen, dann entspannt das sämtliche Situationen. Dabei ist es egal ob es sich um Diskussionen über die Ernährungsweise, das zwischenmenschliche Verhalten oder z.B. politische Diskussionen zwischen Menschen handelt: Es kann alles interessant sein! Und das nicht nur bei Familienfeiern. Auch in der Freizeit oder im beruflichen Alltag!
Jeder Mensch denkt und handelt interessanterweise aus den gleichen Grundursachen: die eigenen Erfahrungen, Glaubenssätze und den daraus resultierenden Erfolgen bzw. Misserfolgen.
Egal woher die Werte und Normen kommen oder wie sich über Gegebenheiten informiert wird: Alles wirkt sich in uns aus und macht die Reaktionen daraufhin erst möglich.
Ich finde das sehr interessant.
Denn genau damit lässt sich auch vieles für ALLE in der Zukunft verändern. Es geht nicht immer darum, dass es schnell gehen muss. Auch wenn es für uns 5 vor 12 ist. Für andere kann es der erste Moment einer Veränderung sein!
Und dann haben wir alle einen Grund zur Freude und keinen mehr für negative Emotionen.
Sicher ist dieser Beitrag auch interessant für die (noch) nicht vegan lebenden Menschen. Denn dann werden vielleicht die einen oder anderen Aussagen nicht mehr getätigt und es gibt ein neues Verständnis für die Herausforderungen am gemeinsamen Familientisch.
Auf jeden Fall profitiert jeder Mensch von einer schönen und entspannten gemeinsamen Zeit mit sich selbst und anderen und maximal wenigen selbstgemachten oder fremdbestimmten Stressfaktoren.
Text/Urheber: © Bettina Wegner für „vegan4futur e.V.“
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