OFFENER BRIEF ZUM BÜRGER:INNENRAT

„KLIMAGERECHTIGKEIT UND WEGE AUS DER ÖKOLOGISCHEN KRISE“

An den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit

Sehr geehrte Abgeordnete,
vor wenigen Wochen hat der Ältestenrat des Bundestages einen Bürger:innenrat auf Bundesebene zum Thema der „Rolle Deutschlands in der Welt“ angekündigt. Wir begrüßen diesen wichtigen Schritt zur Ergänzung unserer repräsentativen Demokratie durch losbasierte Bürger:innenbeteiligung. Gleichzeitig appellieren wir an Sie, das enorme Potenzial des Instruments Bürger:innenrat schnellstmöglich für unsere dringendsten und größten gesellschaftlichen Herausforderungen einzusetzen: die Eindämmung der Klimakatastrophe und des ökologischen Kollaps

Die jüngsten Entwicklungen in der deutschen Klimapolitik — wie das umstrittene Kohleausstiegsgesetz — zeigen einmal mehr, dass es der Politik bisher nicht gelungen ist, den dringend notwendigen Umwelt- und Klimaschutz umzusetzen. Damit scheitert sie an der eindeutigen Faktenlage und ignoriert Warnungen aus der Klimaforschung ebenso wie andauernde Proteste. Jeder Tag, den wir verstreichen lassen, ohne mutige und hinreichend wirkungsvolle Maßnahmen zu beschließen, reduziert unseren Handlungsspielraum, der Krise entgegen zu wirken.

Die Bewältigung des Klimawandels erfordert drastische Veränderungen unserer Lebensweise. Die hierfür erforderliche Unterstützung und Mitwirkung in der Bevölkerung kann durch einen gelosten Bürger:innenrat erreicht werden, der einen Querschnitt der Gesellschaft im Kleinen abbildet. Das Prinzip der Deliberation – eine gleichberechtigte und transparente Beratschlagung der Teilnehmer:innen auf Basis ausgewogener Informationen über unterschiedliche Kontexte und Lebenswelten hinweg – schafft gegenseitiges Verständnis und ist eine ideale Basis für gemeinwohlorientierte Lösungen. In einer Zeit, in der die Politikverdrossenheit deutlich zutage tritt, halten wir die Einführung von gelosten Bürger:innenräten für ein richtiges und konsequentes Signal der Politik an die Bevölkerung.

Unser Nachbarland Frankreich hat uns vor einigen Wochen mit der Convention Citoyenne pour le Climat (Bürger:innenrat für das Klima) eindrücklich gezeigt, wie ambitionierter Klimaschutz demokratisch legitimiert werden kann. Bürger:innen können durchaus gerechte, faktenbasierte und effektive Klimapolitik auf den Weg bringen, wenn ihnen die Möglichkeit dazu gegeben wird. Auch Beispiele aus Irland und Großbritannien zeigen, dass die Teilnehmenden geloster Bürger:innenräte ihre Verantwortung sehr ernst nehmen und sorgfältig abgewogene Vorschläge entwickeln. Dabei haben sich die Bürger:innen beim Thema Klimaschutz für deutlich ehrgeizigere Maßnahmen ausgesprochen, als es die bisherige Politik vorsah. Es ist daher höchste Zeit, dass Bürger:innen auch in Deutschland über Wahlen hinaus in die Gestaltung unserer Zukunft einbezogen werden. Wir regen an, basierend auf dem französische Modell des Bürger:innenkonvents einen deutschen Bürger:innenrat zum Thema „Klimagerechtigkeit und Wege aus der ökologischen Krise“ zu entwickeln.

Zusätzlich zu den bereits berücksichtigten Elementen und wertvollen Erfahrungen des zivilgesellschaftlich durchgeführten „Bürgerrat Demokratie“ wünschen wir uns für den Bürger:innenrat zur Klima- und Umweltpolitik folgende Qualitätskriterien:

  1. Eine aus unserer Sicht zentrale Voraussetzung für Bürger:innenräte ist eine klare, transparente und enge Anbindung an den politischen Entscheidungsprozess. Bürger:innen haben mehrfach bewiesen, dass sie im Rahmen dieses deliberativen Verfahrens zu sachlich fundierten und politisch tragfähigen Ergebnissen kommen. Wir sehen in den Ergebnissen von Bürger:innenräten auf Bundesebene deshalb mehr als eine „zusätzliche Grundlage, um politische und regulatorische Ideen und Programme weiter zu entwickeln“, wie es in einer Pressemitteilung des Bundestags heißt. Als Vorbild für die politische Anbindung eines Bürger:innenrats kann das französische Modell dienen. Bezogen auf unser politisches System in Deutschland sollten die Ergebnisse eines Bürger:innenrats dem Parlament in möglichst direkt umsetzbarer Form wie z. B. Gesetzesvorschläge oder Maßnahmenempfehlungen vorgelegt werden. Bei einzelnen weitreichenden Maßnahmen könnte es hilfreich sein, hierzu eine Volksabstimmung auf Bundesebene durchzuführen, um eine hinreichende Bereitschaft der Bevölkerung sicherzustellen.
  2. Ein Bürger:innenrat ist umso wirksamer, je besser er in die breite Gesellschaft eingebettet ist. Hierzu ist eine umfassende Öffentlichkeitsarbeit und eine transparente Dokumentation erforderlich. Auch eine Konsultationsphase, in der die Zivilgesellschaft eigene Anregungen in den Prozess einbringen kann, sowie die Möglichkeit für die Teilnehmenden, weitere Expert:innen einzuladen, erachten wir als notwendig.
  3. Bürger:innenräte benötigen Zeit, um zu qualitativ guten Ergebnissen zu kommen. Für hochkomplexe Themen wie die Klima- und ökologische Krise muss eine Laufzeit ähnlich des französischen Klima-Bürger:innenrats veranschlagt und das Verfahren mit entsprechenden finanziellen Ressourcen ausgestattet werden.
  4. Entscheidend für den Erfolg eines Bürger:innenrats ist die Formulierung der Fragestellung. Diese sollte konkret genug für eine klare Fokussierung, aber in keiner Weise einschränkend gewählt werden, sodass die Teilnehmenden die gesamte Bandbreite ihrer Ideen zur Lösung des Themas einbringen können.

Unter Beachtung der oben genannten Standards können die Empfehlungen des Bürger:innenrats als eine klare Willensbezeugung informierter Bürger:innen betrachtet werden, die von den politischen Entscheidungsträger:innen ernst genommen und als Mandat für zukunftsweisende Klimapolitik angenommen  werden muss.

Eine erfolgreiche Klimapolitik sollte vorausschauend handeln und die Zukunft unseres Daseins beschützen. Es geht schlichtweg darum, die Lebensgrundlage für alle Menschen dieser Erde, für unsere Kinder und auch für alle anderen Lebewesen auf diesem Planeten zu erhalten. Das werden wir nur erreichen können, wenn wir in der Klima- und Umweltpolitik konsequent neue Wege beschreiten – sowohl inhaltlich wie auch bei den Methoden zur Entscheidungsfindung.

Wir freuen uns auf Ihre Antwort.

Die Bitte um Unterzeichnung richtet sich an Organisationen der Zivilgesellschaft (NGOs), Gewerkschaften, Verbände, Institute, Einrichtungen und Personen des Öffentlichen Lebens und der Politik, nicht jedoch an Privatpersonen und Unternehmen. Falls Sie als Privatperson das Anliegen unterstützen möchten, machen wir Sie auf die in Vorbereitung befindliche Petition von Klima-Mitbestimmung JETZT und die Volksinitiative von Klimaneustart Berlin aufmerksam.

Vereine und Organisationen können diesen Brief unterzeichnen unter: https://klima-rat.org/

Bitte teilen und Werbung machen, damit so viele Organisationen wie möglich teilnehmen können!