Es ist erst ein Jahr her und manchem von uns kommt es vor, als ob ein ganzes Jahrzehnt vergangen ist. Das mag sicherlich daran liegen, dass wir alle mit der Pandemie und seinen Auswirkungen zu tun haben und dieses Thema alles andere überschattet. Es scheint, dass ist der Lauf der Dinge. Aber nicht in Hanau – heute gedenken wir den Menschen, deren einziger “Makel” aus Sicht des Attentäters, ein Migrationshintergrund war.
Wir gedenken
„Erinnerung, Gerechtigkeit, Aufklärung, Konsequenzen“: Das fordert die Initiative 19. Februar Hanau. Wir müssen hinter den Angehörigen stehen, ihnen die Rücken stärken. Die Sicherheitsbehörden und die Justiz dürfen nicht auf der rechten Seite blind bleiben, sondern müssen unabhängig und transparent aufklären. Damit die Fehler benannt, aufgeklärt und in Zukunft verhindert werden können, damit nicht ein nachgewiesener psychisch kranker Mensch an einen Waffenschein kommt, nicht im Fokus der Sicherheitsbehörden erscheint und Notausgänge mit Wissen der Behörden abgesperrt, die somit nicht als Fluchtmöglichkeit vor dem Attentäter genutzt werden konnte.
Damit aber auch nicht die Hinterbliebenen und Verwandten der Opfer das Gefühl haben, plötzlich als Täter wahrgenommen zu werden. Zur Gerechtigkeit gehört auch Empathie für die Opfer und Hinterbliebenen.
Wir können diese Taten nicht ungeschehen machen, aber wir können dem Rassismus unsere Menschlichkeit entgegensetzen. Wir müssen auch in unserer direkten Umgebung wachsam sein und Alltags-Rassismus oder Sexismus klar benennen. Keiner von uns ist geschützt davor, vorurteilsfrei zu handeln und zu denken. Nur wenn uns aber bewusstwird, das diese Geste oder jener Gedanke einen anderen Menschen beleidigen oder nur aus Vorurteilen besteht, sind wir alle einen großen Schritt weiter gekommen.
Wir müssen zuhören und verstehen lernen. Was wir vielleicht manchmal witzig finden oder selbstverständlich, was uns vertraut ist, womit wir aufgewachsen sind, ist für viele andere eine Beleidigung ihrer Hautfarbe, ihres Geschlechtes, ihrer Religion oder ihrer Herkunft. Unser Sprachschatz besteht oftmals noch aus Wörtern und Bedeutungen aus Kolonialer Zeit, das muss uns bewusst sein und wir müssen dankbar dafür sein, wenn wir darauf hingewiesen werden. Das hat etwas mit Aktivem verstehen lernen zu tun. Ich bin in letzter Zeit wieder über Diskussionen über das “Z-Schnitzel” gestoßen. Eine Anmerkung von mir dazu: Das “Z-Wort” war schon immer ein Schimpfwort für den Volksstamm der Sinti und Roma. Es war noch niemals eine liebevolle Bezeichnung für eine Gruppe von Menschen, sondern immer eine Ausgrenzung. Ich erinnere mich noch an meine Kindheit, als es hieß: “Achtung, die Z… kommen, haltet eure Wertsachen zusammen …” Das war damals wie heute ein jahrhundertealtes Vorurteil, welches heute noch in unseren Köpfen fest verankert scheint.
Bei der Recherche für diesen kurzen Beitrag bin ich auf verstörende Zahlen gestoßen: Es gibt Quellen, die seit 1990 wahnsinnige 187 bis 216 rechtsextreme Morde zählen. Die Bundesregierung hat offiziell bis heute 87 Morde rechter Gewalt eingestuft. Aber es ist egal, denn jeder Mord ist nicht nur ein Mord zu viel, sondern die Gesellschaft und somit jeder Einzelne von uns, hat bei jedem Ermordeten verloren.
Aber heute gedenken wir, damit wir morgen richtig handeln können!
© Holger Pangritz, 19.02.2021