Abschwächung des Klimaschutzgesetzes verhindern

Gemeinsame Forderungen zur KSG-Novelle

Die unterzeichnenden Klima-, Umwelt-, Sozial- und Branchenverbände sehen im Referentenentwurf zur Novelle des Bundes-Klimaschutzgesetzes vom 13.06.2023 die Gefahr einer eklatanten Abschwächung des zentralen und wegweisenden klimapolitischen Instrumentes in Deutschland. Mit unseren nachfolgenden Forderungen positionieren wir uns zum Referentenentwurf. Die zeichnenden Verbände möchten sich konstruktiv an der Weiterentwicklung des Klimaschutzgesetzes beteiligen und Verbesserungsvorschläge unterbreiten, um sicherzustellen, dass die Klimaschutzziele bis 2030 und darüber hinaus eingehalten werden können.

Mindestanforderungen an ein effektives Klimaschutzgesetz

Die folgenden Punkte sollen laut Referentenentwurf aus dem Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG) gestrichen werden, sind aber für die zeichnenden Verbände Mindestvoraussetzungen, die ein wirksames Klimaschutzgesetz beinhalten muss.

Die Sektorziele sind unverhandelbar

Die verbindlichen Sektorziele des Klimaschutzgesetzes dürfen nicht wie geplant abgeschwächt werden. Diese Forderung ist nicht nur für die Sektoren Verkehr und Gebäude, die bereits in der Vergangenheit ihre Ziele verfehlt haben, entscheidend. Denn keiner der Sektoren ist bislang auf einem sicheren Pfad, um langfristig die notwendigen Klimaziele einzuhalten. Es besteht nahezu kein Spielraum, Verfehlungen in einem Sektor durch Minderungen in anderen Sektoren auszugleichen. Daher ist eine alleinige sektorenübergreifende Gesamtbewertung der Jahresemissionsmengen nicht zielführend. Der Gesetzgeber muss vielmehr einen klaren Minderungspfad aufzeigen, damit in allen Sektoren der nötige Planungsdruck und Fahrplan hin zur Treibhausgasneutralität entsteht. Diese Notwendigkeit hat auch das Bundesverfassungsgericht in seinem wegweisenden Beschluss zum Bundes-Klimaschutzgesetz vom April 2021 aufgezeigt. Darüber hinaus gibt die EUKlimaschutzverordnung (Effort-Sharing-Regulation) Deutschland Emissionsminderungsziele für bestimmte Sektoren verbindlich vor. Das KSG kann die Einhaltung dieser Vorgaben nur gewährleisten, wenn es kongruente Sektorziele vorsieht.

Ressortverantwortlichkeit und Pflicht zur Vorlage von Sofortprogrammen beibehalten

Den Vorschlag aus dem Referentenentwurf, keine Sofortprogramme mehr zu erstellen, wenn ein Sektor seine Klimaschutzziele nicht einhält, lehnen wir ab. Nach § 8 des bestehenden Klimaschutzgesetzes sind die entsprechenden Ministerien verantwortlich für die Einhaltung der Sektorziele in ihrem Verantwortungsbereich sowie die sektorbezogene Umsetzung klimapolitisch notwendiger Maßnahmen. Wie der Expertenrat für Klimafragen zum wiederholten Male feststellte, ist die Ressortverantwortlichkeit ein fundamentales Governance-Instrument, um die Einhaltung der Klimaschutzziele sowie die Zuordnung von klarer Verantwortlichkeit sicherzustellen. Mit einer Aufweichung dieses Prinzips würde eine der größten Errungenschaften des Klimaschutzgesetzes entfallen. Ein Wegfall der Ressortverantwortlichkeit könnte als Deckmantel für politische Untätigkeit gerade in den Bereichen dienen, in denen besonders dringender Handlungsbedarf besteht. Wir fordern klare Verantwortlichkeiten als Grundlage für effektives und zielgerichtetes Handeln in allen Sektoren.

Früher nachsteuern

Der Referentenentwurf sieht vor, dass eine Nachsteuerungspflicht erst ausgelöst werden soll, wenn in zwei aufeinanderfolgenden Jahren eine Verfehlung des Gesamtziels bis 2030 projiziert wird. Wie der Expertenrat für Klimafragen deutlich macht, würde dies die Reaktion der Bundesregierung auf ein Verfehlen von Klimazielen unnötig verzögern und notwendige Maßnahmen verschleppen. Sachliche Gründe für das tatenlose Abwarten eines weiteren Jahres bei bestehender, wissenschaftlich fundierter Prognose einer Zielverfehlung sind nicht ersichtlich. Vielmehr droht mit einer entsprechenden Regelung eine weitere Verlagerung von Treibhausgaseinsparungen in die Zukunft zulasten der verfassungsrechtlich geschützten Freiheitsrechte jüngerer Generationen. Um die Einhaltung der Klimaziele nicht noch weiter zu gefährden, muss – neben der Pflicht zur Erstellung eines sektorbezogenen Klimaschutzprogramms – bei einem prognostizierten Überschreiten der zulässigen Emissionsmengen die Pflicht zum Nachsteuern unmittelbar ausgelöst werden. Neben der Verantwortlichkeit der Minister*innen in ihren Ressorts sehen wir auch die komplette Bundesregierung verantwortlich für das Erreichen der Gesamtziele.

Einhaltung des Gesamtbudgets gewährleisten

Wir sehen derzeit nicht, wie das Gesamtbudget durch die geplanten Änderungen an der Gesetzesnovelle eingehalten werden kann. Exemplarisch zeigt dies bereits das auf Basis des bestehenden Klimaschutzgesetzes veröffentlichte Klimaschutzprogramm, das augenscheinlich ungenügend zur Einhaltung der Klimaziele ist. Die vorgeschlagenen, massiven Schwächungen im Entwurf werden durch keine Vorschläge zur Stärkung der Nachsteuerungsmechanismen des Gesetzes kompensiert. Wir fordern, die hier dargestellten Mindestanforderungen an ein effektives Klimaschutzgesetz sowie die dargestellten Verbesserungsansätze in das Gesetz aufzunehmen, um die Erreichung der Klimaziele sicherzustellen.

Klimaschutzgesetz weiterentwickeln

Das Klimaschutzgesetz weist auch in der aktuell geltenden Form Lücken auf, die seine Effektivität einschränken. Der Gesetzgeber ist gefragt, einen wirksamen Rechtsrahmen für die dringend notwendigen Maßnahmen zur Bekämpfung der Klimakrise zu schaffen. Daher schlagen wir vor, folgende Weiterentwicklungen in die Novelle des Klimaschutzgesetzes aufzunehmen:

Zielverfehlungen: Klare Mechanismen für mehr Verbindlichkeit einführen

Das Klimaschutzgesetz hat eine entscheidende Schwachstelle: Es gibt in der aktuellen sowie in der vorgeschlagenen Neufassung des KSG keinen Sanktionsmechanismus, wenn ein Ministerium bzw. die Bundesregierung bei einer festgestellten Zielverfehlung kein angemessenes Sektor-Sofortprogramm fristgerecht liefert, um die Einhaltung der Klimaziele sicherzustellen. Gleiches gilt für die Klimaschutzprogramme, die nach dem vorgelegten Gesetzentwurf zu Beginn jeder Legislaturperiode beschlossen werden. Das beste Beispiel ist das veröffentlichte Klimaschutzprogramm 2023, welches nicht wie zugesagt das 2030Reduktionsziel sicher erreichen lässt. Wir empfehlen daher, einen mit klaren Vorgaben ausgestalteten Mechanismus einzuführen, der bei (drohender) Zielverfehlung eine Nachsteuerung effektiv gewährleistet. Dieser sollte in der ersten Stufe das verantwortliche Bundesministerium und in einer zweiten Stufe die gesamte Bundesregierung in die Verantwortung nehmen, rechtmäßig zu handeln. Beispielsweise könnte eine Regelung der zu ergreifenden Maßnahmen bei einer Zielverfehlung bereits mit dem Klimaschutzprogramm veröffentlicht werden.

Erstellung und Koordinierung künftiger Klimaschutzprogramme

Es ist zu begrüßen, dass künftige Bundesregierungen bei Amtsantritt ein umfassendes Klimaschutzprogramm für die Legislaturperiode erstellen sollen und zu diesem vorab eine Stellungnahme des Expertenrat für Klimafragen einzuholen hat. Dieses Programm sollte anhand von Kriterien wie Umsetzungsrahmen, Wirkung zur Emissionsreduktion sowie Verantwortlichkeit der zuständigen Ressorts klare Anforderungen für ein zielgerichtetes Handeln festlegen. Der Expertenrat sollte darüber hinaus befähigt werden, auch eigene Maßnahmen für das Erstellen der Klimaschutzprogramme vorzuschlagen. Die Koordinierung der Klimaschutzprogramme sollte in einer zu schaffenden Koordinationsstelle im Bundeskanzleramt unter der Führung der Bundeskanzler*in erfolgen, um eine ressortübergreifende, kohärente und ganzheitliche Klimaschutzpolitik der Bundesregierung zu gewährleisten. Außerdem sprechen wir uns für die Wiederaufnahme der Beratungen des Klimakabinetts aus, in dem sich das Kanzleramt und das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz monatlich zu Klimathemen und v. a. zur Koordinierung der Klimaschutzprogramme austauschen.

Die Rolle des Umweltbundesamts

Das Umweltbundesamt liefert die Emissionsdaten und fertigt den Projektionsbericht an. Dies sollte auch in Zukunft fortgeführt werden, um eine unabhängige und wissenschaftlich hochwertige Datenerhebung zu gewährleisten. Die im Entwurf geplante Beauftragung eines Forschungskonsortiums, über dessen Zusammensetzung das Kanzleramt und sechs einzelne Ministerien entscheiden sollen und welches dem Umweltbundesamt die Projektionsdaten liefert, sehen wir mit Sorge und lehnen wir ab. Grundsätzlich begrüßen wir den Vorschlag, die ex-post Betrachtung der Emissionszahlen mit einer projizierenden (ex-ante) Betrachtung der Emissionsentwicklung zu verknüpfen, um ein frühzeitiges und zielgerichtetes Gegensteuern potentieller Zielverfehlungen zu ermöglichen. Beide Betrachtungen sollten gut aufeinander abgestimmt werden. Für die Einhaltung der Klimaziele ist nicht nur das bisherige, sondern gerade auch die künftigen Emissionsentwicklungen entscheidend. Im Referentenentwurf ist vorgesehen, dass die ex-ante-Berechnung in Form einer Projektion zur Auslösung des Nachsteuerungsmechanismus führt. Bisher wurde kein Projektionsbericht fristgerecht vorgelegt, auch 2023 nicht. Damit die Bundesregierung rechtzeitig auf ein Verfehlen von Klimazielen reagieren kann, müssen die Fristen künftig gewahrt werden. Das setzt eine fristgerechte Zulieferung aller benötigten Daten aus den jeweiligen Ministerien sowie eine Stärkung der Unabhängigkeit des Umweltbundesamtes in der Erstellung der Berichte voraus.

Jahresmengen zur Emissionsreduktion im Energiesektor festlegen und Jahresbudgets fortschreiben

Ab 2023 gibt es nach derzeit gültigem Klimaschutzgesetz keine jahresscharfen Reduktionsziele im Energiesektor. Diese sollten hinzugefügt werden, um ein klares Monitoring, den CO2-Budgetansatz sowie eine ex-ante Betrachtung zu ermöglichen. Ohne Jahresziele in dem wichtigsten Klimaschutzsektor ist es nicht möglich, die Einhaltung der 2030-Ziele transparent und rechtssicher zu antizipieren und zu überprüfen. Um die Gesamtemissionen ausreichend zu mindern und einen klaren Minderungspfad festzuschreiben, müssen die Jahresmengen im Entwurf noch fortlaufend bis 2045 ergänzt werden.

Klimaschutzziele mit Finanzierung der Transformation verknüpfen

Das Klimaschutzgesetz ist dahingehend weiterzuentwickeln, dass es der Umsetzung von Paragraph 2.1.c des Pariser Klimaabkommens in Deutschland dient und Finanzmittelflüsse in Einklang mit einer klimaneutralen und -widerstandsfähigen Entwicklung bringt. Schätzungen gehen davon aus, dass sich der öffentliche Finanzbedarf zur Erreichung des 2030-Klimaziels der Bundesregierung auf einen jährlichen mittleren zweistelligen Milliardenbetrag beläuft. Die im Klimaschutzgesetz verankerten Klimaschutzziele sind demnach mit der Bundeshaushaltsordnung und den Anlagerichtlinien der Sondervermögen von Bund und Ländern zu verknüpfen. Zudem gilt es, eine Beteiligungsgesellschaft einzurichten, die eine öffentliche Beteiligung an Transformationsinvestitionen und -gewinnen sicherstellt. Umwelt- und Klimaziele müssen außerdem steuerungsrelevant und strukturell im Bundeshaushalt verankert werden. Bevor öffentliche Ausgaben getätigt werden, sollten sie auf ihre Kompatibilität mit Klimazielen geprüft werden.

Fazit

Mit der geplanten Abschwächung des Klimaschutzgesetzes gefährdet die Bundesregierung Deutschlands klimapolitische Glaubwürdigkeit in Europa und weltweit. Darüber hinaus wird die politisch, wirtschaftlich und nicht zuletzt verfassungsrechtlich gebotene Transformation hin zur Treibhausgasneutralität verzögert und zulasten jüngerer Generationen in die Zukunft geschoben. Das muss im parlamentarischen Prozess unbedingt verhindert werden. Ein starkes Bundes-Klimaschutzgesetz hingegen, mit verbindlichen Zielen in den Sektoren und wirkungsvollen Nachsteuerungsmechanismen, schafft die nötigen Voraussetzungen für eine gesellschaftliche und wirtschaftliche Transformation Deutschlands hin zu einer lebenswerten Zukunft für alle. Es sorgt für einen klaren, transparenten Rahmen und liefert ein Monitoring der Klimaschutzmaßnahmen, an das sich die Zivilgesellschaft, Medien sowie Akteur*innen aus Politik und Wirtschaft halten und mit dem sie planen können.

Unterzeichnende Verbände:

  • B.A.U.M. Netzwerk für nachhaltiges Wirtschaften
  • BildungsCent
  • Bodensee-Stiftung
  • Bund der Deutschen katholischen Jugend (BDKJ)
  • Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND)
  • Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE)
  • Bundesverband für Umweltberatung (bfub)
  • Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft (BNW)
  • BürgerBegehren Klimaschutz (BBK)
  • Bürgerlobby Klimaschutz
  • ClientEarth – Anwälte der Erde
  • climactivity
  • Deutsche KlimaStiftung
  • Deutscher Naturschutzring (DNR)
  • E3G – Third Generation Environmentalism
  • Fairtrade Deutschland
  • GenderCC – Women for Climate Justice e.V.
  • Germanwatch 6
  • Global Nature Fund (GNF)
  • Greenpeace
  • INKOTA-netzwerk
  • Institut für Kirche und Gesellschaft der evangelischen Kirche von Westfalen
  • Katholische Arbeitnehmer-Bewegung (KAB)
  • Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands (KFD)
  • Katholische Landjugendbewegung Deutschlands (KLJB)
  • Klima-Allianz Deutschland
  • Klimaschutz im Bundestag
  • Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG)
  • Menschen für Tierrechte – Bundesverband der Tierversuchsgegner
  • Naturschutzbund Deutschland (NABU)
  • Netzwerk Klimaherbst
  • Ökumenische Initiative eine Welt
  • Orchester des Wandels
  • Protect Our Winters Germany (POW)
  • Protect the Planet
  • Together For Future
  • vegan4future
  • Verkehrsclub Deutschland (VCD)
  • Wirtschaft pro Klima
  • World Wide Fund for Nature (WWF) Deutschland
  • Zentrum für Mission und Ökumene – Nordkirche Weltweit

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